Performance Art als Schnittstelle für Visuelles und Auditives

1 Futurismus

Am 12. Januar 1910 fand im Teatro Rosetti in Triest der erste futuristische Abend (Serata Futurista) statt. Diese Anlässe nahmen zwar im Lauf der Zeit an Umfang und Komplexität zu, behielten aber zwei ästhetische Kernmerkmale bei: Konfrontation (direkte Einbeziehung des Publikums) und Simultaneität (es fanden jeweils mehrere Dinge auf einmal statt). In der Regel wurden Gedichte und Manifeste zugleich deklamiert, Bilder auf der Bühne auf- und umgehängt, Musik mit voller Lautstärke gespielt. Für Filippo Tommaso Marinetti, den Gründer der Bewegung, ließ sich eine serata noch am ehesten mit dem Varietétheater vergleichen, mit dem sie die Mixtur von Filmen, Akrobaten, Sängern, Tänzern, Clowns gemeinsam hatte – die ganze Bandbreite von Stupidität, Schwachsinn, Tölpelhaftigkeit und Absurdität, durch die unsere Intelligenz unmerklich an den Rand des Wahnsinns getrieben wird.[1] Dieser Sturm gleichzeitiger Aktivität war, wie die Futuristen meinten, ein wahrheitsgetreues Abbild der Realität modernen urbanen Lebens. Wenige Gebiete des Lebens blieben von ihnen unberührt; ihr Anspruch umfasste Film, Architektur, Malerei, Theater, Literatur, Musik – bis hin zur Kochkunst.

Die wirkungsstärkste Weiterentwicklung dieser künstlerischen Haltung erfolgte durch Luigi Russolo, einen Maler, der seine Agenda in dem 1913 veröffentlichten Manifest L’arte dei rumori (Die Kunst der Geräusche) skizzierte. Die Inszenierung von Lärm als einem zentralen Bestandteil des modernen Lebens und der modernen Musik erforderte die Erfindung neuer instrumentaler Hilfsmittel in Gestalt der intonarumori, Lärm erzeugender Maschinen, die Russolo konstruierte, um seine Geräuschmusik aufführen zu können. Diese Ästhetik des Geräuschs leitete sich zum Teil von Marinettis phonetischer Poesie her, für die Zang tumb, tumb (1912) das wohl berühmteste Beispiel ist. Marinettis Dichtung ist visuell ebenso innovativ wie auf der phonetischen Ebene und arbeitet mit verschiedenen Schriftsätzen, Letterngrößen und Orientierungen des Texts auf der Seite. Entsprechend erfand Russolo auch eine neue Notation zur Niederschrift seiner Geräuschmusik.

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