Strukturanalogien zwischen Musik und visuellen Künsten

3.2 Farben und Farbbeziehungen: Nuancen und Kontraste

Musiker interessierten sich darüber hinaus für das Phänomen der Farbe und suchten die Vielfalt ihrer Schattierungen oder die Verhältnisse zwischen verschiedenen Farbtönen auf die Gestaltung musikalischen Materials zu übertragen.

Einen solchen Versuch unternahm Arnold Schönberg 1909 in seinen Farben (1909), zu einer Zeit, als sich der Komponist verstärkt der Malerei widmete. Dabei ließ er den Wechsel der Akkorde so sachte geschehen, dass keine Betonung der einzelnen Instrumente hörbar ist, sondern nur eine sich verändernde Farbe. Während Schönberg also das Fortschreiten kleinster Intervalle zum vorherrschenden Kompositionsprinzip erhob, ging György Ligeti in Lontano (1967) noch einen Schritt weiter, indem er die Anzahl der Stimmen und Kleinstintervalle bis zum Cluster erhöhte, also zu geräuschähnlichen Klangtrauben, bei denen der Akkord durch einen Klangraum ersetzt wird; ein Verfahren, das Ligeti als Mikropolyphonie bezeichnet. Die dadurch entstehenden simultane[n] Verläufe mit verschiedenen Geschwindigkeiten, die durchschimmern, einander überlagern und durch mannigfache Brechungen und Spiegelungen eine imaginäre Perspektive hervorbringen, verglich er mit dem Betreten eines dunklen Zimmers, in dem Farben und Konturen erst nach und nach wahrnehmbar werden.[8]

Inspiriert von Barnett Newmans monochromen Gemälden, die durch den mehrfachen Farbauftrag mit einem groben Pinsel nicht nur eine besondere Intensität, sondern auch feinste Nuancierungen aufweisen, vertrat Morton Feldman die Überzeugung, dass alle Elemente einer möglichen Differenzierung bereits im Klang enthalten sind und zudem eine ähnliche Leuchtkraft entfalten können wie Newmans Farben. Um diese Eigenschaften herauszukehren, ließ er beispielsweise in Intermission 5 (1952) den Tönen die Möglichkeit, auszuklingen und das in ihnen ruhende Klangpotenzial voll zur Entfaltung zu bringen.

Oliver Messiaen wiederum orientierte die Struktur einiger seiner Werke an den Beziehungen zwischen Farben, wobei seine Vorgehensweise in ihrer Ganzheit dem Außenstehenden verschlossen bleibt. Er selbst beschrieb sie im Vorwort zur Partitur seines Orchesterwerkes Couleurs de la Cité céleste von 1963 wie folgt: Die Form dieses Werkes ist gänzlich von Farben bestimmt. Die melodischen oder rhythmischen Themen, die Ton- und Klangfarbenkomplexe entwickeln sich wie Farben. In ihren ständig erneuerten Veränderungen findet man (durch Analogie) warme und kalte Farben, komplementäre Farben, die ihre benachbarten Farben beeinflussen, Farben mit Abtönungen zu Weiß und zu Schwarz hin.[9]

Zit. nach der deutschen Übersetzung in Aloyse Michaely, Die Musik Olivier Messiaens: Untersuchungen zum Gesamtschaffen, Hamburger Beiträge zur Musikwissenschaft (Sonderband), Hg. Constantin Floros. Hamburg: Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner, 1987, S. 376. Darüber hinaus gab es aber auch Versuche, mittels Analogien Töne in Farben zu übertragen und z. B. mit Hilfe von Farbenklavieren sichtbar zu machen oder aber Farben in die Komposition einzubeziehen z. B. bei Alexander Skrjabins Prometheus (1910).  
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