Grafische Notation und musikalische Grafik

2 Grafische Notationen und musikalische Grafiken ab 1950

2.1 Amerikanische Entwicklung

Ab 1950 entwickelte die New York School of Composers (John Cage, Morton Feldman, Earle Brown, Christian Wolff) neue Notationsformen. Zentral ist darin die Kategorie der Unbestimmtheit oder Indetermination, durch die der Komponist dem Interpreten Entscheidungsfreiheit lässt.[5] Morton Feldmans Komposition Projection 1 (1950) in graph (paper) notation ist indeterminiert bezüglich ihrer Tonhöhen. Allerdings gibt Feldman drei verschiedene Register vor und damit einen Rahmen, innerhalb dessen der Interpret die Tonhöhen wählen muss.

Indeterminiert ist auch das Aufführungsmaterial von John Cages Cartridge Music (1960) und einigen Kompositionen aus der Variations-Reihe (1958–1967), das aus verschiedenen bedruckten Folien besteht, die der Interpret für jede Aufführung neu übereinanderlegt und nach Cages Anweisungen interpretiert. Dabei geben die abgelesenen Werte oft Aktionen und keine klanglichen Resultate an. Im Concert for Piano and Orchestra (1958) stellt Cage für den Klaviersolopart ein Kompendium verschiedener Notationen zusammen.

Earle Browns December 1952 aus der Serie Folio gilt als erste musikalische Grafik (graphic music). Instrumentation, Tonhöhen und Rhythmus sind hier ebenso wie die Leserichtung und Drehung des Blattes unbestimmt. Der an Jazz-Musik interessierte Komponist Brown wollte mit solchen Grafiken Anregungen für improvisierende Interpreten geben.[6] Während Brown mit der spontanen Umsetzung eines bildlichen Eindrucks auf eine Improvisation zielte, vermieden Feldman und Cage den Begriff Improvisation und verlangten eine detaillierte Ausarbeitung und Planung der jeweiligen Aufführung.

Die Kompositionen der New York School of Composers spielte in den fünfziger Jahren hauptsächlich David Tudor (1926–1996), einer der führenden Interpreten zeitgenössischer Klaviermusik. Er realisierte die indeterminierten Stücke, indem er eine Spielpartitur ausarbeitete: Alle vom Interpreten zu treffenden Entscheidungen legte er in einer Probenphase fest und schrieb diese nieder.

Tudor trat zwischen 1956 und 1962 bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik auf. Viele europäische Komponisten eigneten ihm Werke zu: Sylvano Bussotti schrieb über seine Five Piano Pieces for David Tudor 1959: Das Element for David Tudor im Titel ist keine Widmung, sondern gleichsam eine Instrumentenangabe. […] Vielfach bleibt das Schallereignis, das solche Zeichnungen auslösen mögen, in den Händen des Pianisten.[7]

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