Gesamtkunstwerk

2 Universalpoesie

Im Mittelpunkt frühromantischer Ideen steht die Poesie, die besonders als Gesang eine enge Verwandtschaft mit der Musik besitzt. In der von Literaten und Philosophen geleiteten Diskussion verkörpert die poetische Darbietung die höchste Stufe solcher gesamtkünstlerischen Ambitionen. Den bildenden Künsten kommt dagegen eine untergeordnete Rolle zu – sie regen zwar die äußeren Sinne an, erreichen aber nicht das innere Gemüt. So formuliert Novalis in einem Fragment: Man sollte plastische Kunstwercke nie ohne Musik sehn – musikalische Kunstwercke hingegen nur in schön dekorirten Sälen hören. Poetische Kunstwercke aber nie ohne beydes zugleich genießen … und der dadurch erfolgenden Mischung alles Schönem und Belebendem zu mannichfaltigen Gesammtwirckungen.[3] Poesie bedeutet endlich nichts, als innere Mahlerey und Musik.[4]

Der Philosoph Friedrich Schlegel (1772–1829) präzisiert in seiner Geschichte der europäischen Literatur(1803/04) die Stellung der Poesie als Kunst der Künste gemäß dem griechischen Denker Simonides, dass Architektur, Plastik und Malerei nur eine stumme Poesie wären.[5] Eine Hauptaufgabe der romantischen progressiven Universalpoesie lautet demnach, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen.[6] Schlegel spekuliert über eine neue Epoche der Wissenschaften und Künste, wenn mehrere sich gegenseitig ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten…[7]

Auch der Philosoph Friedrich Wilhelm Schelling (1775–1854) bestätigt diese Wertung der Poesie. Am Ende seiner Betrachtungen zur Philosophie der Kunst (1802/03) bezeichnet er als vollkommenste Zusammensetzung aller Künste … die Vereinigung von Poesie und Musik durch Gesang, von Poesie und Malerei durch Tanz, selbst wieder synthesirt die componirteste Theatererscheinung ist, dergleichen das Drama des Altertums war, wovon uns nur eine Karikatur, die Oper geblieben ist…[8] Die Verankerung des idealen Dramas im öffentlichen Leben erkennt Schelling im Gottesdienst: die einzige Art wahrhaft öffentlicher Handlung, die der neuen Zeit, und auch dieser späterhin nur sehr geschmälert und beengt geblieben ist.[9] Damit wird die frühromantische Vorstellung des autonomen, von seinen Empfindungen bestimmten Individuums überführt in ein gemeinschaftliches metaphysisches Erlebnis. Das antike Drama als höchste Totalität rückt Schelling theoretisch an die Stelle der frühromantischen Poesie und antizipiert damit eines der zentralen Postulate von Richard Wagner.

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