Lightshows und Multimedia-Shows

4 Rock ’n’ Roll-Lightshows

Den stärksten kulturellen Einfluss erreichte das Expanded Cinema jedoch in den psychedelischen Multimediaspektakeln mit Lichtprojektionen bei Rock-Konzerten, insbesondere in der San Francisco Bay Area. Ein zentrales Element der Rock ’n’ Roll-Lightshow war Liquid Projection, ein Prozess, der 1952 von dem Kunstprofessor Seymour Locks entwickelt worden war. Locks projizierte zu Live-Jazz Licht durch einen Glasbehälter, in dem sich verschiedenfarbige Öle, Tinten und andere nicht mischbare Flüssigkeiten befanden. Elias Romero, einer von Locks’ Studenten, experimentierte mit dieser Technik zunächst in Los Angeles, 1962 begann er dann in San Francisco seine Zusammenarbeit mit Bill Ham und Anthony Martin – auch ihnen diente eine ehemalige Kirche als Arbeits- und Aufführungsraum. Mehr als jede andere Technik hat Liquid Projection zu dem wirbelnden Zusammenspiel von Farben beigetragen, das die Lightshows zur visuellen Entsprechung der ausgedehnten und sich ebenfalls nie wiederholenden Improvisationen in den Jams von Jefferson Airplane, Grateful Dead und anderen Rockbands der Bay Area gemacht hat.

Zum Repertoire an Techniken und Effekten gehörte auch die Projektion von Dias und kurzen Filmen und der Einsatz von Stroboskopen und Farbrädern. Gewöhnlich richteten sich die Lichtkünstler in ihren Kompositionen nach der Musik; manchmal beeinflussten sie aber auch mit ihrer Arbeit die Improvisationen der Musiker, sodass die Konzerte zu einem spontan improvisierten audiovisuellen Event wurden.

Im Januar 1966 traten Grateful Dead bei dem legendären dreitägigen Trips-Festival auf, dem Höhepunkt von Ken Keseys LSD-Parties oder Acid Tests. Das Festival fand in der Longshoremen’s Hall in San Francisco statt; es gab auch eine Aufführung des Living Theater und Lightshows von Stewart Brand und Roger Hilyard (der ein Assistent von Anthony Martin gewesen war). Weitere Veranstalter mieteten große Säle für Tanzparties an, auf denen die Gefolgschaft dieser psychedelischen musikalischen Gegenkultur zusammenkam. Lightshows wurden so sehr zu einem unverzichtbaren Bestandteil dieser Anlässe, dass sich Abbildungen davon auf vielen Plattencovern der beteiligten Bands wiederfinden. Das große Repertoire von Film- und Dia-Projektionen, Stroboskopen und anderen Lichtquellen verschmolz mit der Musik zum synästhetischen Ganzen einer völlig immersiven Umgebung, in der die Grenzen zwischen Publikum und Künstlern, Körper und Geist, zwischen den einzelnen Sinnen und zwischen individuellem Bewusstsein und Gruppenzugehörigkeit jede Bedeutung verloren. Wie in den Rave-Kulturen ein Vierteljahrhundert später erleichterte auch hier der Gebrauch von Drogen das phänomenologisch-synästhetische Erlebnis von Licht und Sound.

Im April 1966 eröffnete Chet Helms den Avalon Ballroom mit Bill Ham als regulärem Lightshow-Künstler. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits eine ganze Reihe von Lightshows in der Bay Area, z. B. von den Headlights (Glenn McKay und Jerry Abrams), der North American Ibis Alchemical Company (gegründet von Ben Van Meter) und der Holy See. Ähnliche Lightshows wurden auch in anderen amerikanischen Städten ins Leben gerufen, besonders in Los Angeles und New York. In Los Angeles war die herausragende Truppe Single Wing Turquoise Bird, die, aufbauend auf den lokalen Traditionen des Avantgarde-Films und der visuellen Musik sich schließlich zu einem autonomen Multimedia-Ensemble entwickelten, das die kollektiv improvisierte Echtzeit-Komposition von projiziertem Licht revolutionierte. In New York gab es zwei bemerkenswerte Lightshows: Andy Warhols Exploding Plastic Inevitable setzten in ihren Multimedia-Performances Projektoren ein, die seine Filme zeigten, Stroboskope und andere Lichtquellen sowie TänzerInnen, begleitet von Liveauftritten von Velvet Underground and Nico oder Schallplatten mit Popmusik. Für die Auftritte der Joshua Light Show bei Rock-Events im Fillmore East wurden ebenfalls Filmfragmente und jede Menge Liquid Projections und Diaprojektoren eingesetzt.

Lightshows blieben nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt; auch Europa hatte mehrere erfolgreiche Gruppen. Kurz nachdem zwei Amerikaner, Joel und Toni Brown, einen Anfang gemacht hatten – sie projizierten 1966 Diabilder zu einem Konzert von Pink Floyd im Sound/Light Workshop der London Free School –, begann die Zusammenarbeit zwischen Pink Floyd und Peter Wynne-Wilson mit seinen Liquid Projections. Joan Hills und Mark Boyle, die schon 1963 ihre experimentelle Arbeit mit Film und Diaprojektoren begonnen hatten, begleiteten die Gruppe Soft Machine 1966 ihrem Eröffnungskonzert im UFO Club und übernahmen dann die Lightshow ihrer Tournee. 1966 entwickelten Hills und Boyle im Kontext ihres Sensual Laboratory eine Show mit dem Titel Son et Lumière for Earth, Air, Fire, and Water, in der das eingesetzte Material und die Abläufe Entsprechungen zu den vier Elementen darstellen sollten; für Son et Lumière for Bodily Fluids and Functions (1966) verwendeten sie Blut, Schweiß, Urin und Sperma. Ein weiterer wichtiger Innovator war Gustav Metzger, der nach mehrjährigen Experimenten 1965 seine erste Liquid-Crystal-Show präsentierte. Als Mystiker, der an die therapeutische Wirkung von Kristallen glaubte, war Metzger an Popmusik gar nicht sonderlich interessiert und wirkte deshalb nur bei einigen wenigen Auftritten mit, z. B. 1966 im Roundhouse in London mit Cream und The Who. Nach der Schließung des UFO Clubs 1967 wurden die Lightshows weitergeführt von Gruppen wie Electric Light Garden (die einen 20-Kanal-Dimmer für drei Filmprojektoren verwendeten, zwölf automatische Projektoren für normale Dias, zwei Projektoren für Dias mit Flüssigkeiten und zwei Overhead-Projektoren), Five Acre Lights, Amoeba Lightshow, Krishna Lights und die Crystalleum Lightshow. Der Höhepunkt der britischen Lightshow-Bewegung war wahrscheinlich im April 1967 das Konzert 14 Hour Technicolor Dream im Alexandra Palace, das es mit seinen 70 Bands und KünstlerInnen mit dem Trips-Festival aufnehmen konnte.

Die Lightshow-Bewegung entwickelte sich zwar in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien, es gab aber durchaus auch parallele Bewegungen auf dem europäischen Kontinent, wie z. B. die Experimente der Gruppe ZERO in Deutschland mit Otto Piene, der schon in den 1950er Jahren begonnen hatte, mit Licht zu experimentieren. Der wichtigste Veranstaltungsort in Deutschland, der Creamcheese Club, wurde 1967 in Düsseldorf von Hans-Joachim und Bim Reinert, Günther Uecker, Ferdinand Kriwet und Lutz Mommartz eröffnet. Wesentliche Elemente dieser Lightshow waren Kriwets konkrete Poesie, die mittels Dias projiziert wurde, verschiedene Filmprojektionen, eine Videowand mit 24 Bildschirmen und Closed-Circuit-Videofeedback.

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