Ton-Bild-Relationen in der Literatur

1 Musik im/als Text

Mit dem Sujet Musik schafft sich insbesondere die deutschsprachige Kunstliteratur seit dem späten 18. Jahrhundert eine Herausforderung: Musik soll die bessere, die eigentliche, die ideale Sprache sein.[1] Dieser Unsagbarkeitstopos gerät zum ständigen Begleiter all jener Autoren, die von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck über E.T.A. Hoffmann bis Franz Grillparzer nicht nur Künstlerfiguren oder Motive wie Musik und Tanz zur Geltung bringen, sondern tatsächlich deren wunderbare Sprache nachempfinden – und nachschreiben – wollen. Wo Worte nicht mehr hinreichen, sprechen die Töne. Was Gestalten nicht auszudrücken vermögen, malt ein Laut.[2] Es wäre schwierig, zwischen 1790 und 1830 diese Äußerung einem bestimmten deutschsprachigen Autor zuzuschreiben. Doch der Preis ist hoch: Wackenroders Berglinger-Figur aus den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, Tiecks Protagonist Franz Sternbald oder Hoffmanns Kreisler erhalten keine Chance für einen gelingenden Lebensentwurf; soziale Ortlosigkeit, Krankheit oder früher Tod sind ihnen zugedacht. Die Medienkonkurrenz zwischen Malerei und Musik zeigt ebenfalls Gefährdungspotenziale an: Wenn der Maler Franz Sternbald sich von seiner – mit dem Lehrer Albrecht Dürer als handfest deutsch-nürnbergisch apostrophierten eigentlichen – Kunst abwendet, tritt er als eigenständige Textfigur zurück. Die Handlungsinitiative übernimmt sein unversehens auftauchender Freund Rudolf Florestan – und mit italienischen Liedern und Tänzen auch gleich die erotische Dimension.

Der Jurist, Komponist, Musikkritiker, Zeichner und Literat E.T.A. Hoffmann erzählt in seinen Lebensansichten des Kater Murr jeweils abwechselnd und in Bruchstücken den erfolgreichen Bildungsroman des philiströsen Katers und die diskontinuierliche Biografie des Kapellmeisters Kreisler. Sie kreiselt zwischen wunderbaren kontrapunktischen Verschlingungen und den Irrgärten eines phantastischen Parks[3]; einen spezifischen Ort findet sie aber auch dort nicht. Zudem versucht die Doppelstruktur des Romans musikalische Formen wie Mehrstimmigkeit nachzubilden – ein Anspruch, der an der Einlinigkeit des diskursiven Textes scheitern muss. Ergebnis sind diskontinuierliche, Prosa und Lyrik mischende Texte ohne eindeutigen Schluss – ein Befund, den man entweder der überambitionierten, vor allem frühromantischen, Kunstprogrammatik (nicht zufällig konvertierten zahlreiche ihrer Vertreter zum Katholizismus!) oder aber einer Selbstüberforderung des Mediums Literatur zurechnen mag.[4]

Der französische Philosoph, Literat und Enzyklopädist Denis Diderot stellt diese idealistische Überhöhung der Musik in seinem Dialog Rameaus Neffe schonungslos zur Schau.

Diese skeptische Diagnose verschärfen deutschsprachige und französische Autoren im 19. Jahrhundert, wenn sie sich wie Adalbert Stifter der Malerei widmen oder wenn Honoré de Balzac mit den deutschstämmigen Protagonisten Gambara und Frenhofer ein französischer Hoffmann zu werden versucht. Stilistik und Rhetorik des unendlichen Suchens und Verfehlens weichen einer klaren, gelegentlich gar zynischen, Bestandsaufnahme. Grillparzers armer Spielmann ist schlicht ein Versager; in Balzacs Künstlererzählungen dominieren Geld, Ruhm und Alkohol als Triebkräfte der bürgerlichen Gesellschaft und des ihr zuarbeitenden Künstlers. Stifters Protagonist Friedrich Roderer aus den Nachkommenschaften kann 1864 ohne Probleme die zuvor geradezu fanatisch betriebene Landschaftsmalerei (jeden Tag ein Bild des Lüpfinger Moors) leichthin aufgeben, seine Bilder verbrennen und die entfernte Verwandte Susanna Roderer ehelichen. Gemeinsam wollen sie noch Rodererischeres schaffen, das so groß sein [soll], wie nie ein Roderer etwas zuwegen gebracht hat[5] – eine Kapitulation der bildenden vor der reproduzierenden Kunst. Sie führt Stifter folgerichtig zu der Quintessenz, die Dichtung sei nur der Träger des Gedankens, wie etwa die Luft den Klang an unser Ohr führt. Die Dichtkunst ist daher die reinste und höchste unter den Künsten.[6] Solche Sätze hätten zuvor allenfalls der Musik und dem Tanz gelten können. Insbesondere der französische Malerroman des späten 19. Jahrhunderts stellt die Banalität des Scheiterns und die Ökonomisierung des Kulturbetriebs gnadenlos aus.[7] Die Idealisierung und romantische Überhöhung von Kunst und Künstlertum erscheint erst von dem Moment an überholt, in dem Autoren Text tatsächlich als Bild, Gewebe und Klangkörper wahrnehmen.

Gedichte wie Charles Baudelaires Correspondances (1857) oder Arthur Rimbauds Voyelles (1871/1883) nutzen in der Kopplung von Düften, Farben und Tönen oder Vokalen und Farben Sprache als Medium synästhetischer Erfahrungen, die nicht mehr an Realobjekte gebunden sind.[8] Die Verabsolutierung des Sprachmaterials im Symbolismus zielte auf eine poésie pure (Stéphane Mallarmé), die der Dichtung zurückerobern will, was sie an die Musik verloren hatte. Durch klangliche und rhythmische Mittel wie Assonanzen, Lautmalereien und Synästhesien sollen die Worte zum Tönen gebracht werden. Oder wie Paul Verlaine formulierte: Du sollst es nicht nach Regeln zwingen, / laß dein Gedicht im Winde wehn, / laß es gelöst zu Hauch zergehn: / Musik, Musik vor allen Dingen! (Art poétique,1874/1882).[9] Die erstrebte spirituelle Einheit aller Phänomene ist dabei im Drogenrausch (Le Haschisch) ebenso erfahrbar wie in der religiösen Ekstase.[10]

Zur hier angesprochenen Problematik der Universalpoesie vgl. Gesamtkunstwerk.  
Rimbaud bezieht sich hier auf ein Phänomen der neurologischen Synästhesie, bei dem Photismen, also visuelle Empfindungen, durch Töne, Buchstaben, Zahlen usw. ausgelöst werden. Auf Synästhesie, damals einschränkend zumeist als audition colorée bezeichnet, war er beim Studium medizinischer Bücher gestoßen. Die lebhafte Debatte um sein Gedicht führte sogar zu einer Verstärkung der Synästhesie-Forschung in den folgenden Jahren. Vgl. Kevin T. Dann, Bright Colors Falsely Seen. Synaesthesia and the Search for Transcendental Knowledge, New Haven–London 1998, S. 22–26.  
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