Concerto barocco ist eine ganz auf die Struktur der Musik fokussierte Umsetzung von Johann Sebastian Bachs Konzert für zwei Violinen und Orchester d-Moll (BWV 1043; 1718). Balanchines choreografische Methodik, seine unverwechselbare Art der Adaption konzertanter Kompositionen durch Reaktion auf deren strukturelle Prinzipien, wird in den drei Sätzen je unterschiedlich umgesetzt: Zwei von einer achtköpfigen Frauengruppe begleitete Solotänzerinnen nehmen im ersten Satz die einander antwortenden Soloparts der beiden Violinen auf. Der zweite Satz wird von einem Pas de deux des einzigen männlichen Tänzers des Stückes mit einer der beiden Solistinnen dominiert. Im abschließenden Allegro greift das komplette Ensemble die synkopische rhythmische Dynamik der Musik auf und überträgt sie in komplexe, teils gegenläufige Kreuzmuster und Reihenformen, bis die einzelnen Stimmen im Finale synchron zueinander finden.
Concerto barocco ist ein Schlüsselstück für Balanchines Entwurf eines neoklassischen Balletts, das auf Handlung verzichtet, um sich völlig der Musik zu verschreiben. Tänzerisch basiert es auf dem Formenkanon des klassischen Balletts, der durch leichte Modifikation einzelner Posen jedoch aufgebrochen und subtil erweitert wird. Die Choreografie doppelt nicht die Komposition, sondern bildet im Verhältnis zu ihr das, was Balanchine einen optischen Kontrapunkt[1] nannte. Sie übernimmt in ihrem eigenen geradlinig geometrischen Aufbau strukturell die musikalischen Verfahrensweisen und Satzformen.
Balanchine hat die Bezeichnung seiner Ballette als abstrakt (weil ohne Narration) stets abgelehnt und sie stattdessen in ihrer Bezogenheit auf den menschlichen Körper und die Musik als konkret[2] bezeichnet. Zum Premierenzeitpunkt provozierte das Vertanzen einer Komposition von Bach noch heftige Kritik, denn trotz der Einführung des sinfonischen Balletts durch Léonide Massine in den 1930er Jahren galt die tänzerische Umsetzung reiner Musik im Unterschied zu Ballett- und Programmmusik immer noch als Sakrileg. Gegen diese Auffassung argumentierte Balanchine, dass sein Tanz nicht überflüssigerweise die Musik illustriere, sondern im Gegenteil aus der Musik seine Motivation bezöge. Die künstlerische Eigenständigkeit des Tanzes lasse sich nur im Verhältnis zur Musik definieren.
Welch hohen Stellenwert Concerto barocco für den Choreografen hatte, ist daran zu erkennen, dass Balanchine das Stück am 11. Oktober 1948 ins Gründungsprogramm für den ersten Auftritt des New York City Ballets aufnahm.
[1] Mario Pasi (Hg.), Ballett. Eine illustrierte Darstellung des Tanztheaters von 1581 bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1980, S. 226.
[2] Balanchine: »Sie tanzen, vielleicht aus Freude am Tanzen«, in: Lydia Wolgina, Ulrich Pietzsch (Hg.), Die Welt des Tanzes in Selbstzeugnissen, Berlin 1977, S. 227–243, hier S. 226.