Der Klavierpart von John Cages (1912–1992) Concert for Piano and Orchestra (1958) besteht aus 63 durchnummerierten, großformatigen Blättern mit verschiedenen, größtenteils grafischen Notationen. Jede der darin enthaltenen 84 Notationen ist mit Buchstaben gekennzeichnet, die auf eine Erklärung der Notation in einer Legende verweisen.[1]
John Cage verwendet für die die Notation K (S. 43) Notensystem und Violinschlüssel, schreibt aber statt der Notenköpfe an die entsprechende Stelle im Notensystem den Notennamen. Die Wahl des Rhythmus ist dem Interpreten freigestellt. AY (S. 40) bezeichnet Cage als graph music und verweist damit auf Feldmans Notationen, nach denen die Zahlen in den Kästchen die Anzahl der Anschläge bedeuten. Wie in einem Notensystem wird von links nach rechts die linear ablaufende Zeit abgetragen. Vertikal sind die Tonhöhen notiert, die als Register gemäß der Schlüsselvorzeichnung bei Cage beweglich sind. Sehr unbestimmt ist BT (S. 54), hier sind nur die Punkte angegeben, an denen der Flügel bespielt werden soll.[2]
Anhand der Notation BB (S. 53) zeigt Nelson Goodman, dass diese grafische Notation nicht notational, also ein Werk determinierend, gemäß der von ihm aufgestellten Definition ist.[3] Die Unbestimmtheit des Systems sei nicht mit Notationalität vereinbar. Der Interpret muss in dieser Notation das Lot von einzelnen Punkten, die für Noten stehen, auf die vier Linien fällen, die für Duration (Dauer), Frequency (Frequenz), Overtone Structure (Obertonstruktur, also Anschlag) und Occurrence (Abfolge, Reihenfolge des Auftretens der Töne) stehen. So erhält er relative Längenunterschiede, die in Abstufungen der Parameter übersetzt werden, und kann die Noten mit ihren derart ermittelten Parametern aufschreiben und spielen.
Cage arbeitete zwischen 1956 und 1958 als Werbegrafiker.[4] Dieser Einfluss zeigt sich in seiner Gestaltung der Seitenaufteilung im Concert for Piano and Orchestra. Es waren wahrscheinlich die Blätter aus dem Ende März vollendeten und hier beschriebenen Klavierkonzert, welche im Mai 1958 in einer Galerie ausgestellt und auf diese Weise auch als Zeichnungen wahrgenommen wurden.[5]
[1] The pianist’s part is a ›book‹ containing eighty-four different kinds of composition, some, varieties of the same species, others, altogether different. The pianist is free to play any elements of his choice, wholly or in part and in any sequence. John Cage über Concert for Piano and Orchestra, wiederabgedruckt in: John Cage, John Cage. Writer, Richard Kostelanetz (Hg.), New York 1993, S. 57.
[2] Zum Klavierkonzert siehe: James Pritchett, The Music of John Cage, Cambridge 1993, S. 112–124. CD: „25 year retrospective concert“ (15. Mai 1958 Town Hall, New York) Wergo 6247-2 / Wergo 286 247-2.
[3] Nelson Goodman, Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie (Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, 1976), Frankfurt/Main 1997, S. 178ff.
[4] Für die Textilfirma Jack Lenor Larsen, Inc.
[5] Die Ausstellung fand in der Stable Gallery (924 Seventh Avenue) statt. Cages grafischer Nachlass wird von der Margarete Roeder Galerie in New York verwaltet.